münchen sorgenvoll verbrachte hatte. kaum wurde das konzept öffentlich, stieg das angst- barometer: hamster käufe solle man tätigen – müssen wir uns also wegen eines unmittelbar bevorstehenden angriffs mit dem nötigsten ver- sorgen? medien veröffentlichten „checklisten für den ernstfall“ und bebilderten ihre storys mit überfüllten einkaufswagen; ein discounter unterbreitete seinen kunden das angebot, die notfallrationen direkt nach hause zu liefern. zwar werden die wenigsten tatsächlich ohne umwege zum nächsten supermarkt gefahren sein, um die empfohlenen 500 gramm dosen- fisch oder 720 gramm dauerwurst zu bunkern. dennoch, einen gedanken daran, was wäre, wenn der notfall eintritt, hat wohl jeder ver- schwendet. der elefant ist im raum. und viele fühlten sich eben plötzlich nicht mehr gut ver- sorgt: weil sie nicht genügend dauerwurst als vorrat hatten. vor allem aber, weil sie glaubten, man enthielte ihnen informationen vor. wenn also immer neue sorgen unsere gute versorgung infrage stellen – was tut der mensch, um nicht verrückt zu werden? hei degger for muliert zwei strategien: erstens gibt sich der mensch fürsorglich, indem er hilft, die sorgen anderer zu lindern. so entsteht solidarität, die mit der hoffnung eines jeden verknüpft ist, sie im notfall selbst zu erfahren. zweitens besorgt sich der mensch dinge, um sich zumindest eini- ger sorgen zu erledigen. kurz: er wird zum kon- sumenten. dafür sind die deutschen immer zu haben: der konsumklimaindex – eine zahl, die unsere kauflaune beziffert – stieg im unruhigen sommer 2016 konstant an. konsum bedeutet zerstreuung – und schenkt den menschen die illusion, sich selbst mit guten dingen versorgen zu können. geben ist seliger als wegnehmen in beiden fällen wird der mensch aktiv, er be- treibt fürsorge und eigensorge. noch relativ jung ist eine passive versorgung, die in deutschland in den 1930 er-jahren entstand. immer mehr menschen tummelten sich in den städten, statt auf höfen lebten sie in wohnungen, statt auf dem feld arbeiteten sie in der fabrik oder im büro. dieses moderne dasein als städter ist an hilflosigkeit kaum zu überbieten: der landwirt baute eigenständig nahrung an, verwertete sei- ne abfälle und grub seinen eigenen brunnen. der urbane mensch kann all das nicht. er benö- tigt hilfe von der verwaltung, die dafür sorge trägt, dass das wasser sauber bleibt, strom und gas fließen, die straßenbahn schon frühmor- gens fährt und die müllabfuhr zuverlässig die tonnen leert. im verwaltungsdeutsch heißen diese dienste daseinsvorsorge. der staat organi- siert seinen bürgern also eine grundversorgung. finanziert wird sie von steuern und gebühren. der mensch zahlt, gestaltet sie aber nicht mit. das ist die basis einer guten versorgung. in deutschland ist sie selbstverständlich. in vie- len anderen ländern auf der welt stellt die da- seinsvorsorge dagegen das zentrale ziel der entwicklungshilfe dar: die vereinten nationen haben im jahr 2000 ihre millenniumsziele defi- niert, um bis 2030 extreme armut und hunger vom globus zu tilgen. gut voran geht es bei allen zielen, die sich mit der umverteilung von geld erreichen lassen. schwierigkeiten gibt es immer dann, wenn die reichen nicht nur einen teil abgeben, sondern auch ihren lebensstil än- dern sollen. zum beispiel weniger co2 in die welt pusten. genau dann erreicht die idee der fürsorge schnell ihr limit. der mensch gibt gern, aber er mag es nicht, wenn ihm jemand etwas wegnehmen will. er ist lieber großzügig, als dass er sich einschränken lässt. spendet bereitwillig, aber stöhnt über die steuer. eremiten mit tausenden von freunden rational ist das nicht. doch wenn es um sorgen geht, spielt vernunft keine große rolle. seit angela merkel im september 2016 ihre flücht lings politik erklärte, macht der begriff des „postfaktischen“ die runde. gemeint ist, dass eine gefühlte realität zur bestimmenden größe geworden ist – und nicht mehr eine mit fakten belegbare wirklichkeit. in der politik mag dieses phänomen recht neu sein. in der psychologie ist es altbekannt. beim nachdenken darüber, ob wir uns zum beispiel auf menschlicher ebene gut versorgt fühlen, dominiert selbstverständ- lich die emotionale wahrnehmung. feststeht: menschliche bindungen sind für unser wohl befinden essenziell. das „zentrum für gesell- schaftlichen fortschritt“, eine denkfabrik, die erforscht, was menschen glücklich macht, nennt als wichtigste aspekte ein gutes verhältnis zum partner, zu verwandten und zu freunden. so weit, so klar. aber was ist „gut“? beginnen wir mit der partnerschaft: die lie- be ist etwas wunderbares, aber messbar ist sie nicht. was für eine währung sollte sie haben? „liebe vor leuten hat nichts zu bedeuten“, sagt man. auch das prinzip der ehe ist nur ein kniff, beim nachdenken darüber, ob wir uns zum beispiel auf mensch- licher ebene gut versorgt fühlen, dominiert selbstverständlich die emo- tionale wahrnehmung. 8 wissen