oder soziale auswirkungen zeitige. angesichts der zwangsläufigkeit dieser argumentation schreibt pas- sig: „hätte es zum zeitpunkt der entstehung des lebens schon kulturkritiker gegeben, hätten sie miss- mutig in ihre magazine geschrieben: ‚leben – what is it good for? es ging bisher doch auch so‘ .“ der automatismus des jammerns es scheint also eine art naturgesetz zu sein, dass neue- rungen, die aller wahrscheinlichkeit nach unser leben radikal verändern – und um vieles effektiver gestalten –, zunächst einmal mit größter skepsis betrachtet wer- den. dafür gibt es einfache erklärung. das zeitfenster, in dem individuen für innovationen offen sind, ist kurz. technische neuerungen, mit denen man bis zum 20. lebensjahr konfrontiert wird, adaptiert man als na- türliche gegebenheit. bis 30 haben wir die möglichkeit, uns mit innovationen anzufreunden, den umgang mit ihnen zu lernen. alles, was danach passiert, stört unser erlerntes verhältnis zur welt. passig fordert aus diesem grund, viel wichtiger als neue dinge zu lernen sei es zunächst, alte gewohnheiten zu verlernen. das jedoch dürfte ein wunsch bleiben. was hans gelernt hat, davon will er nicht lassen. und so wird auch weiterhin alles neue eher beargwöhnt werden. neben dem eigentlich harmlosen beispiel der navigationssysteme, die ja eher mit amüsement als mit angst begrüßt werden, ist das im augenblick vor allem bei selbstfahrenden autos und drohnen zu beobachten. zunächst die nüchternen fakten. die fünf häufigs- ten unfallursachen sind laut einer erhebung des adac aus dem letzten jahr: abkommen von der fahrbahn, überhöhte geschwindigkeit, fehler beim überholen, zu dichtes auffahren und missachten der vorfahrt. es liegt auf der hand, dass autonome fahrsysteme an ge- nau diesen bruchstellen der verkehrssicherheit anset- zen. fahrzeuge, die automatisch die spur erkennen, kommen nicht mehr oder seltener von der fahrbahn ab. wird die geschwindigkeit über ein intelligentes feedback-system geregelt (dazu mehr im bericht über die entwicklung autonomer fahrsysteme, seite 30 f.), wird das unfälle radikal reduzieren. ähnliches gilt für zu dichtes auffahren: verhindert ein sensor, der das vordere fahrzeug erkennt, dieses aggressive auf-die- pelle-rücken, wird der verkehr im ganzen besser. „selbstfahrende autos, schön und gut – aber“ die öffentliche wahrnehmung und die mediale bericht- erstattung aber dominieren andere geschichten. etwa die eines autonomen google-testfahrzeugs, das in san francisco einen bus rammte. oder das eines anderen google cars, das in einen auffahrunfall verwickelt war. der schaden, der in diesen fällen entstanden ist, hält sich in grenzen. in einem fall eine große blechbeule, im anderen ein schleudertrauma. verglichen mit den tausenden toten, die jährlich wegen überhöhter ge- schwindigkeit zu beklagen sind, wären das keine wirkli- chen bad news. aber vielleicht ist das das größte schreckgespenst für die tonangebenden technikpessimisten: dass die selbstfahrenden autos einmal wirklich sicher und ef- fektiv über unsere straßen kurven. längst gibt es näm- lich ein eigenes genre an trauertexten, die dann etwa darauf verweisen, dass die vorsilbe „auto-“ in automo- bil nicht nur den selbstantrieb des fahrzeugs beschrei- be, sondern auch mit der autonomie des lenkers asso- ziiert sei. autofahren, so die argumentation, das stand einmal für freiheit, für spontane entscheidungen und auch für einen schuss irrationalität. nun drohe das al- les zugunsten der effektivität des straßenverkehrs ge- opfert zu werden. dieses argument ist nicht von der hand zu weisen. aber vielleicht lohnt es sich hier, den fokus zu öffnen. in der geschichte technologischer innovationen scheint es nämlich ein wechselseitiges verhältnis zwischen au- tonomie und effektivität zu geben. letztere wird – zu- mindest im anfangsstadium – meist auf kosten der ers- teren gesteigert. ein reiter ist in seinen entscheidun- gen wesentlich flexibler als ein zugfahrer, ein kanute wendiger als ein fährenpassagier. neue technologien sind immer zunächst: unbequem, holpernd, manchmal angsteinflößend. der welt eine erfindung zu schenken ist das eine. dann ist es aber aufgabe einer größeren gemeinschaft – user, entwickler und, ja, auch motzer –, diese technologie zum funktionieren zu bringen. abstürzende brieftauben ein ähnliche argumentative breitseite wie gegen selbst- fahrende autos wird im augenblick gegen zivile droh- nen abgefeuert. ja, das konzediert man: drohnen könn- ten die überfüllten straßen entlasten oder die logis tische anbindung abgelegener liefergebiete (siehe interview, seite 13 ff.) entscheidend verbessern. aber! ist dieses ständige summen in der luft nicht eine be- sonders perfide art der umweltverschmutzung? und bieten drohnen nicht auch ganz neue möglichkeiten für schmuggler oder spanner? und was ist, wenn die dinger mit flugzeugen zusammenstoßen? das alles sind freilich berechtigte fragen. klar ist aber auch, dass sie zu beantworten sind. genau so klar ist auch: die einführung wichtiger innovationen wird zwar immer von einer kakophonie aus verunsicherung, häme und abneigung untermalt. all das verzögert vielleicht die durchsetzung des neuen etwas – langfristig, das lehrt der blick in die geschich- te, setzen sich effektive technologien dann eben doch durch. und alle profitieren davon, auch die motzer. es ist ein automatismus: zuerst wird das neue nicht wahr genommen, dann belächelt, dann gefürchtet. irgendwann setzt es sich trotzdem durch. paul-philipp hanske 10wissen